Der Verlauf der Herbstmigration verzögert sich auch in diesem Jahr. Am 22. November saßen immer noch 34 Vögel der beiden Brutkolonien Burghausen und Kuchl im Großraum von Salzburg. Zur Hälfte sind es Jungvögel, zur Hälfte adulte Vögel. Allerdings sind bereits am 31. Oktober und am 17. November Vögel dieser beiden Kolonien über die Alpen erfolgreich nach Italien migriert. Wir hoffen, dass das Wetter noch weiteren Vögeln den Überflug ermöglicht.
Der Großteil der Vögel querte die Ostalpen, indem sie über das Krimmler Achental und einen rund 2.600 Meter hohen Pass ins Südtiroler Ahrntal fliegen. Der besenderte Jungvogel Nene flog, nachdem er den Kontakt zur Gruppe verloren hatte, einen wesentlich anspruchsvolleren Kurs östlich am Großglockner vorbei. Seine höchste gemessene Flughöhe lag bei 3.120 Metern. Der Vogel sitzt nun in Osttirol und wir hoffen, dass er Anschluss zu den Rosegger Vögeln bekommt und ihnen in das Wintergebiet folgen kann.
Die Überlinger Kolonie verzeichnete im Herbst sowohl spannende Erfolge als auch schmerzliche Verluste. In den vergangenen Jahren haben die Vögel immer erfolglos versucht, die Westalpen in Graubünden zu überfliegen. Daher wurde in diesem Jahr versucht, durch den Transfer von Vögeln alternative Migrationsrouten zu initiieren.
Bereits Anfang Oktober wurden elf adulte Vögel nach Südtirol gebracht und im Etschtal freigelassen. Von dort setzten sie ihre Reise selbstständig in Richtung Süden fort. Fünf Jungvögel der Überlinger Kolonie wurden in die Ardèche nach Frankreich transferiert, in der Hoffnung, dass sie von dort aus in Richtung des neuen Wintergebietes in Andalusien fliegen. Grundlage für dieses Experiment waren mehrere dokumentierte Fälle aus den vergangenen Jahren, in denen unbegleitete Jungvögel eine deutliche Südwest-Tendenz zeigten und teils in die Nähe oder direkt ins Gebiet der sesshaften andalusischen Kolonie gelangten.
Der Transfer zeigte Erfolge: Vier der Jungvögel flogen von der Ardèche aus rasch in die erhoffte Richtung und überquerten die Grenze nach Spanien. Dort verstarb leider einer der Vögel, ein weiterer wird vermisst. Zwei Vögel jedoch setzten ihre Reise fort. Nach einer Flugstrecke von insgesamt mehr als 2.000 Kilometern erreichten sie das Cordobatal und kamen damit sehr nahe an das Zielgebiet. Leider wird inzwischen auch einer dieser beiden Vögel vermisst, während der andere, Tinizong, sich nur noch 250 Kilometer von der andalusischen Population entfernt aufhält.
Der fünfte Jungvogel, Landi, kehrte zunächst in die Schweiz zurück und überquerte anschließend die Alpen nach Italien. Aktuell hält er sich in der Nähe von Turin auf, wo er gute Chancen hat, auf andere Waldrappe zu treffen.
Eine Gruppe aus zwei adulten und sechs jungen Vögeln blieb in Überlingen. Leider starben ein adulter Vogel und ein Jungvogel noch im Brutgebiet. Mitte Oktober flog die verbleibende Gruppe in die Westschweiz. Dort verunglückten tragischerweise drei Jungvögel, vermutlich durch Stromschlag. Die verbliebenen drei Vögel überquerten am 4. November die Westalpen und überwanden dabei östlich von Mont Vélan einen 2.800 Meter hohen Pass. Doch auch hier folgten weitere Verluste: Ein Adulttier und ein Jungvogel wurden wenige Tage später in den Apenninen abgeschossen. Der letzte Jungvogel, Liesl, hält sich seitdem in dieser Region auf.
Somit musste die Überlinger Kolonie in diesem Jahr erhebliche Verluste hinnehmen. Sie überschatten die Erfolge dieser Saison, wie die durch das „Attrappen-Nest“ initiierte erfolgreiche Brut aller Vögel an der Felswand am Bodensee, die bemerkenswerten Flüge der transferierten Jungvögel und schließlich der Überflug der Westalpen. Wir können nur auf eine bessere nächste Saison hoffen und unsere Initiativen gegen Stromtod und illegale Vogeljagd fortsetzen.