Waldrapp Enea wurde im letzten Jahr berühmt, als er gemeinsam mit seiner Partnerin Rupert in der Schweiz nistete. Mit der erfolgreichen Aufzucht zweier Jungvögel auf dem Dach des Harley-Davidson-Autohausen in Rümlang im Kanton Bern schrieben die Waldrappe aus der Brutkolonie in Überlingen Geschichte: die erste Wildbrut in der Schweiz seit 400 Jahren! Durch diesen Meilenstein war die Hoffnung groß, dass die erfolgreiche Brut den Anfang einer neuen Brutkolonie begründet.
Am 13. März verließ Enea das Wintergebiet in der Toskana und flog auf direktem Wege Richtung Zentralschweiz. Am Vormittag des 17. März erreichte er Domodossola östlich vom Langensee und flog weiter gen Schweizer Grenze. Kurz darauf kehrte er jedoch um und verbrachte den Nachmittag nahe Domodossola auf Wiesen und Bäumen bis das GPS-Gerät am Nachmittag ein trauriges Update sendete: Enea war gestorben.
Der Verlust von Enea ist besonders tragisch, da der erfahrene Zugvogel die Hoffnung auf eine neue Brutkolonie verkörperte. Diese Hoffnung ruht nun auf dem hinterbliebenen Weibchen und deren Nachwuchs.
Die alarmierten Beamten der ansässigen Forstpolizei begaben sich am nächsten Morgen nach Domodossola, um zu ermitteln und den Vogel sowie das GPS-Gerät sicherzustellen. Aus der Rekonstruktion der GPS-Daten ergibt sich, dass jemand den Vogelkörper hat verschwinden lassen und seitdem fehlen sowohl von Enea als auch dem GPS-Sender jede Spur.
Es ist davon auszugehen, dass es sich um einen strafrechtlich relevanten Kriminalfall handelt, vor allem da es sich beim Waldrapp um einen Zugvogel handelt, der vom Aussterben bedroht ist. Leider kein Einzelfall. Enea ist nur einer von vielen Waldrappen, die jedes Jahr nachweislich oder mit hoher Wahrscheinlichkeit durch menschlichen Einfluss ums Leben kommen. Jeder einzelne dieser Fälle bedroht das Überleben der Vogelart und macht einen großen Teil der Schutzmaßnahmen zunichte. Allein in der letzten Jagdsaison konnte das Waldrappteam 8 Fälle von illegaler Jagd nachweisen, davon sechs in Italien sowie jeweils einen in Frankreich und Spanien. In Italien werden durch illegale Vogeljagd ein Drittel der Verluste verursacht. Eine alarmierende Zahl, vor allem da man davon ausgehen kann, dass noch viele weitere bedrohte Vogelarten von den illegalen Abschüssen betroffen sind. Somit ist die Jagd einer der Hauptgründe für den Bestandsrückgang zahlreicher Vogelarten.